In Dafen, einem Stadtteil von Shenzhen, werden in industriellem Massstab Reproduktionen berühmter Kunstwerke hergestellt. Tausende Künstler kopieren Werke von van Gogh, Picasso und anderen. Während wir im Westen Kopien als minderwertig betrachtet, hat China ein anderes Verhältnis zum Original, das eher als Prozess denn als statisches Werk verstanden wird. Die weltweite Nachfrage nach diesen hochwertigen, aber günstigen Replika ist gross.
Ich finde diese andere Betrachtungsweise des Originals auch unter dem Aspekt unserer Urheberrechtsdiskussionen interessant. Wir vergöttern das sogenannte Original, obwohl wir eigentlich wissen, dass es in der Regel eine von vielen Varianten eines Werkes ist. Eine veränderte Kopie. Ein Werk entsteht nicht aus dem Nichts und es ist, nachdem es in die Welt gesetzt und der Rezeption verfügbar gemacht wurde, sofort wieder Teil eines weiteren kulturellen, interpersonellen Schöpfungsprozesses.
Der europäische Kult um die Einzigartigkeit des Originals, wonach es als rein und unveränderlich gilt und im Umkehrschluss jede Kopie minderwertig und verachtenswert sein muss, ist China fremd. Nach der fernöstlichen Philosophie ist Schöpfung kein singulärer Akt, sondern ein Prozess, der einer permanenten Transformation unterliegt.
Der Unterschied zwischen den Denkweisen zeigt sich bereits deutlich in der Sprache. Auf Chinesisch heisst Original «zhenji» (真跡), wörtlich übersetzt die «authentische Spur». Dem Begriff der Spur, die etwas hinterlässt, sind ein Prozess und ein Wandel inhärent. Jedes Original ist stetigen Veränderungen unterworfen. Die Zeit nagt daran, je älter, desto blasser werden die Farben, der Bildträger wird brüchig.
Für die westliche Idee der Kopie gibt es in China wiederum zwei unterschiedliche Begriffe. Fangzhipin (仿製品) sind offensichtliche Reproduktionen, die als solche erkennbar sein sollen. Kleinere Ausführungen der Terrakotta-Krieger oder der Nofretete-Büste beispielsweise fallen unter diese Kategorie. Sie sind oft auch vom Material und von der Farbigkeit her minderwertiger als das Original. Fuzhipin (複製品) hingegen sind perfekte Kopien, die kaum vom Original zu unterscheiden sind.
Einblicke in dieses interessante Thema gibt Minh An Szabó de Bucs in ihrem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung. Ihr Artikel (Paywall) „Kunst aus der Fabrik: In China werden van Goghs Sonnenblumen am Fliessband kopiert“ beschreibt das Dafen Oil Painting Village und die dortigen Produktionsbedingungen.
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