Das gemeinsame Geschäftsmodell der klassischen und sozialen Medien – Polarisierung als Nebenprodukt?

Die Polarisierung unserer Gesellschaft und der politischen Debatten ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus geraten ist. Oft wird dies als ein Problem beschrieben, das vorrangig durch soziale Netzwerke verursacht wird. Aber wie Matthieu Vétois in seinem Beitrag «Die Psychologie hinter der Polarisierung: Welche Rolle spielen Social Media?» im TANGRAM 48 betont, liegt die Wurzel des Problems weniger in der Technologie, sondern vielmehr im Geschäftsmodell der sozialen Medien. Dieses Geschäftsmodell besteht darin, Aufmerksamkeit zu erregen und diese anschliessend zu monetarisieren.

«Das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke, das im Erregen und Monetarisieren von Aufmerksamkeit besteht, spielt eine Schlüsselrolle bei der Polarisierung von Meinungen.»
(Matthieu Vétois, TANGRAM 48)

Auf der Jagd nach Klicks, Shares und Kommentaren werden kontroverse Inhalte besonders stark gefördert – Polarisierung wird zur Strategie, nicht zum Unfall.

Doch handelt es sich hier wirklich nur um eine Charakteristik der sozialen Netzwerke? Vielleicht sollten wir auch einen Blick auf die klassischen Medien werfen und uns fragen, ob diese nicht auch einem ähnlichen Mechanismus folgen. Könnte es sein, dass auch Zeitungen, Fernsehsender und andere traditionelle Medienerzeugnisse aus denselben kommerziellen Gründen zur Polarisierung beitragen?

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass genau dies der Fall ist. Geschichten wie die um Sania Ameti zeigen dieselben Mechanismen im Spiel. Der Medienwissenschaftler Linards Udris meint in seinem Beitrag «Medien könnten noch stärker die Stimme der Vernunft spielen» auch im TANGRAM 48, dass Medien «nicht aus kommerziellen Gründen gezwungen sein sollten, emotionale Statements zu pushen, um mehr Klicks zu generieren». Damit deutet er darauf hin, dass auch klassische Medien oft dazu neigen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf besonders emotionale und kontroverse Themen zu lenken, um ihre Geschäftsziele zu erreichen.

Was sowohl die sozialen als auch die klassischen Medien vereint, ist ihre Abhängigkeit von Werbeeinnahmen. Im Kern bedeutet dies, dass ihre Inhalte dazu dienen, Aufmerksamkeit zu binden und diese Aufmerksamkeit an Werbetreibende zu verkaufen. Je stärker ein Inhalt emotionalisiert, je grösser die Reaktionen des Publikums sind, desto wertvoller wird dieser Inhalt für das jeweilige Medium. Das gilt für Facebook genauso wie für die Titelseite einer Zeitung. Die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie – das bewusste Fördern von Polarisierung, die Verstärkung von Halbwahrheiten und die gezielte Desinformation – sind also nicht ein exklusives Merkmal der sozialen Netzwerke, sondern gehören auch bei klassischen Medien zum Standardrepertoire der Gewinnerzielung.

Beide Formen der Medien – die klassischen und die sozialen – folgen im Wesentlichen einem Geschäftsmodell, das auf der Monetarisierung von Aufmerksamkeit basiert. Solange dies der Fall ist, bleibt die Gefahr bestehen, dass Polarisierung, emotionale Aufwiegelung und die Verbreitung von Halbwahrheiten einen zentralen Platz in der Berichterstattung einnehmen. Was wir brauchen, ist ein kritisches Bewusstsein für diese Mechanismen und die Förderung von Medienmodellen und Plattformen, die nicht dieser Verwertungslogik unterworfen sind.

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