Arbeitsgruppe AGUR12 schlägt Überwachung der Internet-Nutzer und Zensur der Netzinhalte vor.

Die NZZ am Sonntag schreibt unter dem Titel „Bund schiebt Raubkopieren einen Riegel“ (Online wurde der Titel bereits geändert), dass sich eine Arbeitsgruppe des Bundes auf verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung illegaler Anbieter von urheberrechtlich geschütztem Material im Internet geeinigt hätten. Es wird zwar im Artikel nicht wirklich ersichtlich, aber wir können wohl davon ausgehen, dass die Autorin dieses Beitrages sich dabei auf den Zwischenbericht des IGE zur letzten Sitzung der AGUR12 beruft, der hier auf der IGE Website nachzulesen ist.

Die AGUR12 ist eine Arbeitsgruppe, die von Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Spätsommer letzten Jahres einberufen wurde und die den Auftrag erhalten hat, „bis Ende 2013 Möglichkeiten zur Anpassung des Urheberrechts an die technische Entwicklung aufzuzeigen. Besonderes Augenmerk sei dabei auf die Entwicklung von Verwertungsmodellen zu legen, die den heutigen Internetnutzungen gerecht werden.“ Das Mandat ist online verfügbar (PDF).

In dieser Arbeitsgruppe sind verschiedene Interessen vertreten, wobei diejenigen, die am alten System der Rechteverwertung festhalten wollen und denen jedes Mittel recht ist, um ihre Monopolrente zu sichern, krass übervertreten sind. Vor allem haben die Hardliner, die eine eigentliche Zensurifrastruktur aufbauen wollen, grossen Einfluss auf die Diskussionen innerhalb der AGUR12, während moderate Stimmen und solche die sich ernsthaft mit den neuen Möglichkeiten und Herausforderungen der digitalen Gesellschaft auseinander setzen überhaupt nicht vertreten sind. Die Einzigen die sich gegen die permanente Überwachung der Netzuser wehren, sind die Zugangsanbieter, allerdings auch nicht mehr geschlossen, wie die Aussage des Swisscom-Sprechers Sepp Huber im erwähnten NZZ am Sonntag Artikel zeigt. Ich bin ziemlich sicher, dass Cablecom, Sunrise usw. diese Sache etwas anders sehen. Dass Swisscom hier ausschert, hat wohl vor allem damit zu tun, dass sie ja auch immer mehr zum Inhalteanbieter wird. Eine Entwicklung notabene, der der Bund als Eigentümer der Swisscom eigentlich einen Riegel  vorschieben müsste, aber das ist eine andere Baustelle.

Es wundert darum nicht, dass die Zwischenergebnisse nicht Gutes erahnen lassen. Die Massnahmen, die die Arbeitsgruppe vorschlägt, führen allesamt zu einem massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Internet-Nutzer und würden, wenn sie umgesetzt werden, vor allem hohe Kosten für den Staat und die Provider, und keinen einzigen Franken mehr für die Kulturschaffenden einbringen.

Der einzige Lichtblick in diesem Zwischenbericht ist die Aussage, dass die Verhältnismässigkeit und die Finanzierbarkeit der Massnahmen berücksichtigt werden sollen. Eine Forderungen, die ich sehr wichtig finde und die eigentlich dazu führen müsste, wenn wir sie ernst nehmen, dass endlich die Zahlen auf den Tisch kommen, die uns sagen, wieviel Geld die Schweizer Kulturschaffenden, insbesondere die lautesten von ihnen, die Musikschaffenden Schweiz durch die sogenannte Piraterie verlieren. Erst dann können wir seriös darüber diskutieren, wie verhältnismässig die vorgeschlagegen Massnahmen wirklich sind.

Schauen wir uns nun die verschiedenen Massnahmen im Detail an:

Es wird davon gesprochen, dass die Internet-Zugangsanbieter den Nutzern von P2P-Netzen, welche in „schwerwiegender Weise Urheberrechte verletzen“, Warnhinweise zustellen soll. Das ist so eine Art abgeschwächtes Loi Hadopie aus Frankreich. Dass der Begriff „schwerwiegend“ erst einmal definiert werden müsste, ist dabei nur ein Nebenaspekt. Das viel grössere Problem ist natürlich, dass damit eine Überwachung der Inhalte, die jemand im Netz nutzt einher geht, denn nur so, könnte ja festgestellt werden, ob es sich dabei überhaupt um eine Verletzung des Urheberechts handelt. Das wäre etwas dasselbe, wie wenn jeder Paketpost-Anbieter dazu angehalten würde, jedes Paket zu öffnen und zu schauen, ob sich darin eventuell Material befindet, welches eventuell im Zusammenhang mit einer Verletzung des Urheberrechtes steht und darüber Buch zu führen, damit er feststellen kann, wann der Messwert für die Definition von „schwerwiegend“ erreicht ist. Stellen wir uns doch einmal eine solche Forderung vor. Dann wird uns klar, wie absurd diese ist und vor allem wie gefährlich.

Als zweites wird gefordert, dass die sich in der Schweiz befindlichen Hosting-Provider dazu verpflichtet werden, auf Anzeige hin, urheberrechtlich geschütztes Material zu entfernen. Ein Notice-und-Take-Down-Verfahren wie es in den USA praktiziert wird. Grundsätzlich könnte man sich ja durchaus auf eine solche Massnahme einlassen, wenn wir aufgrund der Erfahrungen aus den USA nicht wüssten, dass solche Regelungen von der Content-Industrie massiv ausgenützt werden um sich Inhalte, an denen sie gar keine Rechte besitzen, anzueignen und zu monetarisieren. Martin Steigers Beispiel ist nur eines von sehr vielen, die zeigen, wie schlecht diese Lösung funktioniert. Ein weiteres Problem wird sein, dass die Content-Konzerne die Schweizer Provider mit solchen Anzeigen überschwemmen werden. Sie schiessen mit einer riesigen Schrotkannone einfach wild um sich, weil es sie nichts kostet, zu behaupten ein Song, ein Text oder ein Film gehört ihnen. Sobald sie das gemacht haben, muss der Provider handeln und weil er logischerweise keinen Ärger will, nimmt er das File sicherheitshalber mal vom Netz. Gerade die kleinen Provider werden sich hüten, sich auf juristische Streitigkeiten mit den Grosskonzernen der Medienindustrie einzulassen. Das Nachsehen haben die User, die nichts illegales tun und sich trotzdem dauernd gegen falsche Anschuldigungen wehren werden müssen.

Die dritte Forderung besteht darin, dass die Internet-Zugangsanbieter auf Anzeige der KOBIK oder einer anderen zu schaffenden Behörde, in schwerwiegenden Fällen den Zugang zu offensichtlich illegalen Quellen sperren sollen. Hier haben wir es also mit dem Lösungsansatz zu tun, der in Deutschland unter dem Namen „Zensursula“ phänomenal gescheitert ist. Mit dieser Idee wird nun definitiv der Aufbau und Betrieb einer Zensurinfrastruktur gefordert. Websites, die einer bestimmten Industrie nicht genehmen sind, sollen gesperrt werden. Es wird behauptet, dass es ja nur ein paar sogenannte „Linksites“ seien, die eben Links auf unlizenzierte Kopien von urheberrechtlich geschütztem Material anbieten. Doch welche Sites sollen das denn sein? Solche die ausschliesslich Links zu bestimmten Files bieten? Oder reichen schon einige Links, neben solchen die unproblematisch sind? Oder nur einer? Müsste Google gesperrt werden? Was ist eine Sucherergbnisseite anderes als eine Linksseite? Was ist überhaupt eine Linksite? Hier ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Kommt dazu, dass diejenigen, die sich wirklich Zugang zu Inhalten verschaffen wollen, die die Content-Industrie nicht oder noch nicht ermöglichen wollen, dies immer schaffen werden.

Wir können also festhalten, dass das was die AGUR12 vorschlägt, das schlimmste aus Frankreich, den USA und Deutschland kombiniert und wenn dieser Strauss an Forderungen umgesetzt würde, die Schweiz wohl bald den Spitzenplatz in der Rangliste der westlichen Länder mit den stärksten Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte im Internet belegen würde.

Es ist wahrlich dreist, wie die internationalen Mediengrosskonzerne über lokale Verbände in der AGUR12 und auch über diesen Runden Tisch des SECO versuchen die Freiheits- und Persönlichkeitsrecht der Schweizer Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, nur damit sie ihre alten Gelddruckmaschinen weiter betreiben können. Man stelle sich vor, diese Leute hätten bereits früher gemerkt, was das Internet mit ihren Geschäftsmodellen anstellt. Wir würden wohl immer noch Faxen, statt E-Mails verschicken und Leserbriefe statt Blogposts schreiben und vor allem würden wir weiterhin all den Schrott auf Datenträgern kaufen müssen, den sie uns während Jahrzehnten vorgelegt haben.

Wir müssen genau hinschauen, ob und auf welche Weise die aktuellen Vorschläge der AGUR12 tatsächlich umgesetzt werden sollen und uns vehement dagegen wehren. Hier geht es nicht um ein paar Jugendliche, die sich ihre Musik und Filme irgendwo im Netz holen, ohne dafür zu bezahlen. Es geht um das Weiterbestehen einer Internet-Infrastruktur die frei ist von Zensur, Überwachung und Willkür und damit einen erheblichen Beitrag zur Prosperität unserer Geschellschaft leistet, und das geht uns alle an.

(Bild: © burak çakmak – Fotolia.com) 

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