Constantin Seibt hat im Vorfeld zur Abstimmung über die Durchsetzungsintiative in seinem vielbeachteten Beitrag «Eine wirkliche Gefahr für die Schweiz» geschrieben, dass es völlig in Ordnung sei, sich von Politik fernzuhalten, ausser wenn es Ernst ist. Eine solche Haltung wird uns allerdings nicht helfen, aus diesem einzelnen Sieg der Vernunft eine demokratische Gesellschaft zu gestalten, die auf der Grundlage von offener und wohlwollender Deliberation zu guten Lösungen gelangt.
Wenn wir aus diesem Abstimmungskampf eine Lehre ziehen können, dann ist es die, dass Fakten gewinnen können. Dass es nicht nur darauf ankommt, möglichst laut und schrill auf Emotionen zu setzen und den politischen Gegner zu diffamieren, sondern vor allem mit glasklar formulierten Argumenten und Beharrlichkeit zu debattieren und zu diskutieren. Wenn wir politische Ideen wie Menschenrechte, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz gegen Totalitarismus, unbändige Staatsgewalt und Diktatur der Mehrheit verteidigen wollen, müssen wir bereit sein, kontinuierlich dafür zu kämpfen.
Es wird wohl immer politische Akteure geben, die einem Teil der Bevölkerung weiszumachen versuchen, dass die Welt binär ist und allen Probleme durch einfache Gut-und-Böse-Kategorisierungen begegnet werden kann. Wenn wir gegen diese Augenwischer langfristig gewinnen wollen, müssen wir die gepflegte politische Auseinandersetzung zum Alltag machen. Es reicht nicht, nur in Einzelfällen politisch zu handeln.
Die Bedingungen für eine funktionierende Demokratie sind vor allem soziale Verhaltensweisen wie gegenseitiger Respekt, Bereitschaft zur Selbstreflexion sowie der Wille zur Kommunikation und zur gemeinsamen Problemlösung. Solche Fähigkeiten werden nur durch ihre Anwendung gelernt und verinnerlicht. Jede politische Frage, sei sie noch so spezifisch, ist geeignet die Debattenkultur und Argumentationskompetenzen in unserer Gesellschaft zu verbessern.
Die ungefähr 40% der Bevölkerung, die derzeit in der Schweiz nach einfachen Antworten sucht, wird nach diesem Sonntag nicht einfach verschwinden. Wenn wir dieses Potential längerfristig verkleinern wollen, müssen wir mit diesen Menschen reden und in vielen kleinen Diskussionen zu allen politischen Themen immer wieder zeigen, dass es die “einfache Antwort” und den “einen Feind” nicht gibt. Es bedingt aber auch, dass wir selbst zum Dialog bereit sind. Solange wir auch nichts Besseres wissen, als den politischen Gegner mit allerlei Diffamierungen zu diskreditieren versuchen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Fronten verhärtet bleiben und die politische Diskussion immer schwieriger wird.
Wenn wir wollen, dass aus dem Sieg von gestern ein Sieg für die Gesellschaft wird, müssen wir jetzt weitermachen und die Debatten in unserem Alltag weiterführen. Politik ist immer – und immer Ernst.
Kommentare