Ein Update ist am Ende des Artikels angefügt.
Im November 2010 begann Wikileaks mit der Veröffentlichung von mehr als 250’000 Depeschen verschiedener USA-Botschaften aus den Jahren 1966 bis 2010. Eine Aktion, die auch unter dem Namen Cablegate bekannt wurde. Die US-Behörden haben sofort mit massivem Druck reagiert und haben innert weniger Tage erreicht, dass die Geldflüsse von und zu Wikileaks unterbrochen wurden. Paypal, Visa, Mastercard und in der Schweiz die Postfinance haben damals kurzerhand entschieden, keine Zahlungen mehr an Wikileaks anzunehmen oder haben zum Teil sogar die Vermögenswerte eingefroren, ohne dass eine Verurteilung durch ein Gericht, ja nicht einmal eine formale Anklage vorhanden war. Diese Banking-Blockade, wie Wikileaks sie nennt, gibt uns einen Vorgeschmack darauf, was uns blüht, sollte das Bargeld dereinst wirklich abgeschafft bzw. verboten werden.
Die Forderung nach einem Bargeld-Verbot steht seit einigen Jahren im Raum und wird immer häufiger auch von einflussreichen Ökonomen gestellt. So zum Beispiel von Larry Summers, dem ehemeligen Chef der Weltbank, vom Harvard Professor und ehemaligen IFW-Chefökonomen Kenneth Rogoff, vom deutschen „Wirtschaftsweisen“ Peter Bofinger oder erst kürzlich von Andrew Haldane, dem Chefökonomen der britischen Nationalbank.
Haldane und seine Kollegen schlagen vor, das Bargeld durch eine staatliche digitale Währung zu ersetzen. Das mag in vielen Ohren nach einem begrüssenswerten Vorschlag klingen, wäre aber ein fataler Schritt für die offene und freie Gesellschaft. Denn wenn finanzielle Transaktionen nur noch innerhalb eines digitalen und überwachten Systems stattfinden können, ist eine elementare Grundlage für eine totalitäre Gesellschaft gelegt.
Die Befürworter aus der Ökonomen-Zunft wollen die bargeldlose Gesellschaft, damit eine Zentralbank, wenn sie es für Notwendig hält, Negativ-Zinsen einführen kann, ohne dass die Bürger sich diesen durch das Horten von Bargeld entziehen können. Die Befürworter aus der Law-and-Order-Fraktion sehen eine ideale Möglichkeit, Verbrechen aller Art zu verhindern oder zu verfolgen und die Befürworter aus der Tech-Szene finden Bargeld ganz einfach lästig und möchten vor allem den Zahlungsverkehr vereinfachen. Alle diese Begründungen machen aus der jeweiligen Perspektive durchaus Sinn. Wenn wir aber die Flughöhe ändern und diese Idee im gesellschaftlichen Kontext betrachten, sehen wir, auf welchen gefährlichen Pfad wir uns begeben.
In einer bargeldlosen Gesellschaft mit staatlicher digitaler Währung wäre es jederzeit möglich – per Knopfdruck quasi – einem Bürger oder einer Bürgerin das Bezahlen zu verunmöglichen, oder die Geldmittel zu konfiszieren. Genauso, wie vor fünf Jahren Wikileaks der Geldhahn zugedreht wurde, könnte jeder Mensch, der ins Visier von Ermittlungsbehörden gelangt, daran gehindert werden, elementare Bedürfnisse, wie zum Beispiel das Einkaufen von Nahrungsmitteln, zu befriedigen. Geld-Transaktionen zu tätigen gehört zu den wichtigsten Aktivitäten des Alltags. Ohne diese Möglichkeit ist ein freies Leben unmöglich zu führen. Nur schon die Eventualität, dass einem Menschen diese Handlungsfreiheit jederzeit entzogen werden kann, würde die Gesellschaft verstummen und erlahmen lassen. Kombiniert mit der permanenten staatlichen Überwachung der vernetzten Kommunikation hätten wir dann die kühnsten orwellschen Schreckensvisionen übertroffen.
Es wäre zwar auch denkbar, bargeldlose Gesellschaften mit digitalen Währungen ohne die oben genannten Probleme einzurichten. Dazu wäre es allerdings nötig, dass es eine Vielzahl solcher digitalen Währungen gäbe und dass diese ohne zentrale Kontrolle und über eine echte Peer-to-Peer-Vernetzung funktionierten, sowie anonyme Transaktionen ermöglichten. Solche Systeme sind liegen aber derart im Widerspruch zur vorherrschenden politischen Meinung, dass Zentralbanken die Geldpolitik bestimmen können müssen, und dass der Staat Geldflüsse verfolgen können muss, dass diese wohl auf absehbare Zeit nicht etabliert werden können. Das bedeutet, dass wir deshalb am Bargeld festhalten müssen und zwar mit aller Vehemenz. Es darf weder verboten werden, noch darf die Pflicht für Geschäfte Bargeld als Zahlungsmittel zu akzeptieren aufgehoben werden, wie das jüngst in Dänemark realisiert wurde.
Update vom 19. Oktober 2015, 17:21
Felix Schwenzel hat mit einem Beitrag auf meine Gedanken zur bargeldlosen Gesellschaft reagiert. Er hat recht, wenn er schreibt, dass es heute schon möglich ist, jemanden die „Zahlungsmöglichkeiten“ zu nehmen. Aber, und das ist der grosse Unterschied zum bargeldlosen Zustand, wenn mir heute meine elektronischen Zahlungsmittel genommen werden, habe ich eben noch die Möglichkeit auf Bargeld auszuweichen. Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei, dass mir Freunde mit Bargeld aushelfen können. In einer Welt in welcher die staatliche Währung nur noch digital existiert, ist das nicht mehr möglich. Der Grad der Hilflosigkeit bzw. des Gefühls des Ausgeliefert seins, ist dann schon noch ein paar Stufen höher. Wir haben uns schon weit in Richtung bargeldlose Gesellschaft bewegt, wie Felix richtig feststellt, aber wir haben den letzten Schritt noch nicht getan und das ist gut so.
Dann steht der Vorwurf im Raum, dass ich mich dumpfer Staatskritik hingebe und mich auf dieselbe Stufe begebe, wie diejenigen die freien Waffenbesitz für die Bürger fordern. Felix weisst uns darauf hin, dass der Staat die Menge seiner Bürger sei und dass wir der der „angstmache der rechten law-und-order-fraktionen etwas entgegensetzen, aber bitte keine angstmache, auch wenn sie dem guten zweck dient“ (sic!).
Nun, es ist in der Tat so, dass ich der Meinung bin, dass wir gerade auch aus linker Perspektive die Staatskritik nicht verlernen dürfen. Gerade weil wir dem Staat das Gewaltmonopol abtreten, sind wir dazu verpflichtet, besonders gut hinzuschauen. Gerade weil wir als Bürgerinnen und Bürger diesen Staat bestimmen, müssen wir uns mit den systemimmanenten Problemen des Staatswesens auseinandersetzen und Fehlentwicklungen kritisieren. Das Böse ist banal, wie wir wissen. Es braucht keine bösen Menschen dazu, ein schlechtes soziales System genügt. Den Staatsapparat kritisch zu beobachten, bedeutet nicht die solidarische Gemeinschaft in Frage zu stellen, sondern bedeutet vor allem seine Verantwortung als Teil einer demokratischen Gemeinschaft wahr zu nehmen.
Kommentare
Schöne neue Welt. Im Supermarkt „darf“ man selber seine Ware scannen und den Zahlungsvorgang selbst regeln. Die Verkäuferinnen dürfen dann nur noch Gestelle auffüllen.
Wann bemerkt die breite Bevölkerung diesen digitalen Unsinn? Brauchen wir noch mehr Aufsicht?
Rosmarie B
das problem mit dem bargeld ist, dass es, wie alle zahlungsverfahren, vom staat reglementiert wird. das heisst, in krisenzeiten kann es abgewertet oder handstreichartig abgeschafft werden. die krisen-sicherheit oder das feel-good-potenzial das du in deinem nachtrag dem bargeld (andeutungsweise) zuweist haben genau betrachtet eigentlich nur gold, diamanten, land- oder immobilienbesitz, auch wenn dieses ebenfalls gepfändet oder geraubt werden können.
ansonsten sind wir glaube ich gar nicht so unterschiedlicher meinung, vor allem in sachen staatskritik. kurz gefasst lautet meine antwort (bereits seit gestern): ich hoffe es gibt bessere argumente gegen eine bargeldabschaffung als „totalitäres Potenzial“.
Interessehalber: Würde ein anonymer digitaler Zahlungsverkehr wie er oben skizziert wird nicht direkt gegen die Bestimmungen unseres Geldwäschereigesetzes verstossen?
Apropos Datenschutz: Würdest du bitte dafür sorgen, dass mein Name aus der Emailadresse bei Gravatar verschwindet? 😉
Habe ich gemacht. Habe Deine E-Mail Adresse die Du angegeben hast und die offenbar mit Deinem Gravatar-User-Account verbunden ist, hier im System gelöscht.
Ja, das denke ich auch. Darum schreibe ich ja, dass wir derzeit nicht auf ein anonymes digitales Zahlungssystem hoffen dürfen und darum an der Möglichkeit des Bargeld-Einsatzes festhalten sollten.