David Signer machte sich in der NZZ am Sonntag vom 25.4.2010 und auf NZZ Online über die Entschleunigungsromantiker lustig, die frohlockten als die Aschewolke aus Island über Europa schwebte und den Luftverkehr zum Erliegen brachte:
„Wer aus seinem Designerstuhl heraus «umsteigen aufs Kamel» fordert, ist, mit Verlaub, selber eins.“
Natürlich springen uns da alle Widersprüche unserer Zeit ins Gesicht, wenn wir hören und lesen, wie viele sich klammheimlich oder öffentlich über das mehrtägige Grounding der Flieger gefreut haben. Denn sicher ist es so, dass die meisten auf die Vorteile der schnellen, globalen Welt nicht wirklich verzichten wollten.
Doch das Unbehagen über die Beschleunigung des eigenen Lebens ist durchaus real und auch berechtigt. Wir alle fragen uns doch manchmal wohin das noch führen soll? Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wir auch irgendwo eine Grenze erreichen werden und dass es ja nicht sein kann, dass nur, wenn wir alle noch schneller durch das Leben hetzen, Verbesserungen der Lebensqualität erreicht werden können. Gleichzeitig wissen wir, dass es ein „zurück zum Kamel“ auch nicht geben kann. Dass es da viele gibt, die sich an Strohhalmen wie den verschieden „Slow-Irgendwas“ Bewegungen festhalten, ist verständlich.
Allerdings wissen wir nur zu genau, dass diese Wochenend-Entschleunigungsevents genau sowenig Lösungen sind, wie die das einstündige Lichterlöschen am Earth Day.
Ich bin der Meinung, dass wir die Betrachtungsebene etwas verändern müssen, um dem Beschleunigungsproblem zu entkommen. Nicht der Einzelne muss schnell sein, sondern der Informationsfluss im System.
Die Beschleunigung der Kommunikationsgeschwindigkeit innerhalb der sozialen Systeme ist durchaus sinnvoll und erwünscht. Sie führt unter anderem, zu all den Errungenschaften die Signer in seinem Artikel als positive Aspekte unseres Daseins erwähnt. Doch das muss nicht heissen, dass wir als Individuen deswegen zu gehetzten werden.
In einem vernetzten System kann die Kommunikationsgeschwindigkeit steigen, ohne dass alle einzelnen Elemente sich zu jeder Zeit schneller bewegen müssen.
Wenn wir uns als Netzwerk organisieren und jeder Knoten auch mit mehreren anderen Knoten verbunden ist, dann können die Informationen verschiedene Wege gehen und nicht alle Knoten müssen immer auf Vollast fahren.
Die neuen Collaboration Ansätze, die durch die Web 2.0 Bewegung getrieben sind, zeigen sehr schön wie das funktionieren könnte.
Die meisten Organisationen sind auch heute noch hierarchisch und nicht als Netzwerk organisiert. Sehr viel Kommunikation findet zwischen nur 2 Personen statt. E-Mails, Telefongespräche usw. Unsere alten Kommunikationsnetze sind zwar technisch so konstruiert, dass jeder Knoten mit allen anderen Kontaktaufnehmen kann, aber die Informationen finden ihren Weg meistens entlang einer Hierarchie, bzw. einer Linie.
Wenn ich eine E-Mail von einem Mitarbeiter erhalte, der mir eine Frage zu einem bestimmten Projekt stellt, kann er evtl. nicht weiterarbeiten, bis er die Antwort von mir erhalten hat. Wenn ich mich persönlich entscheide, mein Leben zu entschleunigen hat das in diesem Fall Einfluss auf die Geschwindigkeit des Systems. Die E-Mail kommt zu mir und der Prozess kommt zum erliegen, bis ich meine Antwort geschrieben habe.
Dieses System kann nur schneller werden, wenn die einzelnen Elemente immer auf Empfang stehen und immer auf Hochlast arbeiten und die eingehenden Informationen sofort verarbeiten und weitergeben. Ein solches System wird früher oder später an seine Grenzen kommen weil die Geschwindigkeit der einzelnen Knoten nicht mehr gesteigert werden kann, kommt dazu dass es eigentlich Menschenunfreundlich ist.
Auch wenn derzeit noch die ganz grosse Mehrheit der Organisationen so funktionieren, sollten wir uns von diesen Organisationsformen so schnell wie möglich verabschieden.
Es braucht nur eine andere Konfiguration der Informationswege. Solche nämlich, die die Community- Kommunikation und nicht die 1:1 Kommunikation fördern. Telefon und E-Mail sind typische 1:1 Mittel. Natürlich machen wir auch Telefonkonferenzen und schicken E-Mails an mehrere Leute aber meistens eben nicht.
Nehmen wir an, ich bekomme nicht eine E-Mail mit der Frage meines Mitarbeiters, sondern er schickt diese über Yammer, Salesforce Chatter oder irgendeine andere Collaboration 2.0 Anwendung?
In diesem Fall kann ein beliebiger anderer Mitarbeiter aus dem Unternehmen der die Antwort weiss, und gerade Zeit hat die Frage beantworten. Wenn ich bei Eintreffen der Anfrage auf einem Spaziergang bin oder ein Buch lese, ist das für das System kein Problem mehr. Der Informationsfluss geht weiter, auch ohne mich. Ein anderes mal bin ich dann vielleicht wieder im Loop und helfe mit, das System am laufen zu halten.
Die Systemgeschwindigkeit hängt nicht mehr alleine davon ab, wie schnell der Einzelne die Information verarbeitet, sondern wieviele Knoten aktiv sind. Vielleicht geht dann eine Information auch mal einen Umweg bis sie am richtigen Ort ist, aber das System bleibt am leben und kann sich entwickeln.
Ich weiss, dass ich das jetzt hier sehr Oberflächlich behandelt habe und es gäbe da noch einiges anzufügen und zu erklären. Ich werde das bei Gelegenheit einmal nachzuholen, eigentlich wollte ich nur schnell den Signer Artikel kommentieren 🙂
Grundsätzlich geht es mir darum zu zeigen, dass wir uns nur etwas anders organisieren müssen, damit wir von der Beschleunigung der Welt profitieren können ohne uns selber zu Gehetzten zu machen.
Weder die Verteufelung der vernetzten, globalisierten Welt ist nötig noch die Verherrlichung des multitasking, always-on Blackberry-Superheroes.
In echten Netzwerkstrukturen können wir als Einzelne soviel Zeit herausnehmen wie wir brauchen, ohne das System zu gefährden.
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