Für Twitter ist Staatsschutz-Kritik sensibel oder obszön

Hier liegt mal wieder ein wunderbares Beispiel dafür vor, dass Content-Filter nichts taugen und darum auf keinen Fall grundlegend in die Netzinfrastruktur eingebaut werden dürfen, wie das Großbritannien vor hat und auch bei uns immer wieder gefordert wird, zum Beispiel kürzlich von der Arbeitsgruppe AGUR12.

Ich habe gestern angekündigt, dass bei buch & netz die digitale Edition des vergriffenen Buches «Schnüffelstaat Schweiz – 100 Jahre sind genug» erscheinen wird und die ersten Kapitel bereits online verfügbar sind. Um die zukünftigen Diskussionen zum Buch in den Social Media zu sammeln habe ich den Hashtag #schnüffelCH vorgeschlagen.

Auf der Website zum Buch habe ich dann ein offizielles Twitter-Widget integriert, welches alle Tweets zu diesem Hashtag anzeigen sollte. Die Timeline war zu Beginn natürlich leer, weil es noch keine Tweets dazu gab. Danach habe ich einen ersten Tweet publiziert, welcher auch einige male retweeted wurde. Weiterhin habe ich gesehen, dass auch @martinsteiger auf das Buch inkl. Verwendung des vorgeschlagenen Hashtags aufmerksam gemacht hat:

Die Timeline blieb leer.

Zuerst dachte ich, dass es halt einfach ein wenig Zeit braucht, bis die Tweets im Widget angezeigt würden. Danach hegte ich den Verdacht, dass das Twitter-Widget nicht mit Umlauten umgehen kann, zumal die Tweets, wenn man auf auf den Button „Auf Tweets überprüfen“ klickte, erschienen, bis ich dann gemerkt habe woran es lag:

Für Twitter sind die Tweets zum Schnüffelstaat Schweiz entweder ’sensibel‘ («…wie etwa Nacktheit, Gewalt oder medizinische Verfahren…»)- oder ‚obszön‘. Denn wenn ich die Checkbox „Sicherer Suchmodus – Sensible Inhalte und Obszönität“ ausschalte, erscheinen die Tweets in der Timeline:

und sobald ich diesen Filter wieder einschalte, sind sie auch schon wieder weg:

Ich will hier keine grosse Geschichte daraus machen und auch Twitter nicht unterstellen, dass sie in irgendeiner Form bewusst bzw. aktiv politische Inhalte im Bezug auf die Kritik am staatlichen Überwachungswesen in der Schweiz ausblenden lässt, zumal ich diesen Filter ja an und ausschalten kann.

Was man aber sehr schön sieht, ist, dass diese Filter unbrauchbar sind. Solange die Maschinen kein semantisches Verständnis haben und nicht denken können, und davon sind wir allen Singularity-is-Near-Rufen zum trotz und wahrscheinlich zum Glück noch weit entfernt, können wir keine globalen Inhalte-Filter die auf Algorithmen basieren zulassen.

Stellen wir uns vor, die Frage, ob dieser Filter, wie ihn mir Twitter zur Verfügung stellt, eingesetzt werden soll oder nicht, wird nicht mehr vom Benutzer sondern von einer Behörde oder noch schlimmer von Branchen- bzw. Industrievertretern entschieden. Es gäbe keine Tweets zur Neuauflage des Schnüffelstaat Schweiz Buches und diese stehen natürlich nur stellvertretend für unzählige Inhalte, die einfach nicht mehr erscheinen würden. Das werden wir ja hoffentlich nicht wollen, nicht wahr?

(Bildquelle: Wikimedia Commons – Karikatur die gute Presse – Public Domain)

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