Die wichtige Einsicht aus dem IS-Prozess: Abhören bringt nichts und führt zu einer total überwachten Gesellschaft

 

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Eines der wichtigsten Argumente gegen den massiven Ausbau der Überwachungstätigkeit des Staates ist, dass wir uns damit auf eine Ab­wärts­spi­ra­le begeben, an deren Ende die total überwachte Gesellschaft steht, ohne dass Terrorismus und Gewalt verschwunden wären. Die Begründung dafür ist so einfach wie einleuchtend: Wer einen terroristischen Anschlag oder ein anderes Verbrechen von ähnlicher Tragweite plant und weiss, dass die Kommunikationsinfrastruktur überwacht wird, wird sich entsprechend verhalten und alternative Wege suchen. Es ist ja nicht so, dass fanatische Menschen per se dumme Menschen sind.

Anhand der Berichterstattung zum derzeit laufenden Indizienprozess der Bundesanwaltschaft gegen 4 verdächtige Iraker können wir sehr schön sehen, wie richtig diese These ist. So wirft die Staatsanwältin einem der Verdächtigen vor, er sei in die Türkei gereist um dort einen Datenträger mit wichtigen Informationen zu geplanten Anschlag abzuholen. Sehen wir einmal davon ab, dass der besagte Datenträger bisher nicht gefunden wurde und es darum auch nicht klar ist, was darauf gespeichert wurde, wenn es ihn denn überhaupt gibt. Wir können aber auf jeden Fall feststellen, dass in diesem Fall die ganze Überwachung der Telekommunikationsdienste relativ wenig gebracht hätte, weil die Daten eben nicht per Internet, sondern per Kurier übermittelt hätten werden sollen. Anders gesagt, wenn jemand davon ausgehen muss, dass das Internet überwacht wird, werden eben die guten alten Kurierdienste eingesetzt um Daten von A nach B zu bringen und damit werden diese Daten der Überwachung weitgehend entzogen.

Ein weiteres Beispiel stellen die Chat-Protokolle aus den Überwachungen der Kommunikation der vier Verdächtigen dar. Die Staatsanwaltschaft wirft den Irakern vor mit Geheimcodes kommuniziert zu haben und behauptet, dass Ausdrücke wie “Brot backen”,”Wassermelone” und “Firma”  nichts anderes als Tarnwörter seien, die für “Bomben bauen”, “Bomben” und “IS” stünden. Ob diese Vorwürfe stimmen oder nicht, wird wohl nie abschliessend geklärt werden, solange diese von den Verdächtigen bestritten werden. Was wir hier aber vor allem erkennen können ist, dass das Abhören von codierten Nachrichten nichts bringt, wenn man den Schlüssel zur Decodierung nicht hat. Es ist natürlich offensichtlich, dass niemand der einigermassen bei Verstand ist, sich ohne Sicherheitsvorkehrungen über überwachte Kommunikationskanäle frei von der Leber weg über ein geplantes Verbrechen austauscht.

Das heisst, das Einzige, was die Überwacher zu sehen bekommen, sind entweder private Gespräche zwischen Menschen, die sich nichts zu Schulden haben lassen kommen, oder dann codierte Nachrichten die sie nicht verstehen. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass Codes gesehen werden, wo keine sind und dadurch Menschen vorverurteilt werden die gegen kein Gesetz verstossen haben. Das dies bei Überwachungen auf jeden Fall geschieht, können wir anhand der vielen aufgedeckten Fälle, wie zum Beispiel im Rahmen des Fichen-Skandals, sehen.

Befürworter der ausgebauten staatlichen Überwachung werden entgegenhalten, dass es ja nur schon sinnvoll sei, dass durch diese Massnahmen die verbrecherischen Handlungen erschwert würden. Es sei ja wie beim Abschliessen der eigenen Wohnung. Wir wissen zwar, dass wir einen Einbrecher damit nicht aufhalten, aber ganz einfach wollen wir es ihm ja doch nicht machen. Dieser Vergleich, so treffend er auf den ersten Blick auch scheinen mag, weisst aber eine grosse Differenz zum Abhören der Gesellschaft auf. Die Auswirkungen des Abschliessens der Türen auf das funktionieren der Gesellschaft sind minimal, während die Konsequenzen der Überwachung massiv sind. Kommt dazu, dass mit einer verschlossenen Türe evtl. ein Gelegenheitseinbrecher von seiner Tat abgehalten werden kann. Gelegenheitsterroristen gibt es aber kaum. Ein schweres Verbrechen von den Dimensionen, wie sie als Begründungsargumente für die staatliche Überwachung herangezogen werden, müssen immer mit viel Aufwand geplant werden. Wenn dem nicht so wäre, würde ja eine Überwachung sowieso nichts bringen.

Wir müssen also davon ausgehen, dass Menschen mit verbrecherischen Absichten sich den jeweils neuen Überwachungssituationen anpassen werden. Der Staat wird darauf mit noch mehr Überwachung reagieren müssen, solange er der Logik folgt, dass der Ausbau des Überwachungsapparates mehr Sicherheit bringt.

Darum stellen wird fest: Der kontinuierliche Ausbau der staatlichen präventiven Überwachung wird kaum Verbrechen verhindern, aber eine totalüberwachte, unfreie Gesellschaft hinterlassen. Es ist Zeit umzudenken. Für die Schweiz heisst das: Nein zum Nachrichtendienstgesetz (Abstimmung evtl. am 25.9.2016) und Nein zum BÜPF (Start der Unterschriftensammlung für das Referendum nächstens).

Kommentare

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  1. Wenn von “Brot backen” die Rede ist, aber jede Spur von geschäftlicher Aktivität in Richtung Bäckerei fehlt… Dann ist Skepsis doch angebracht. Einfach mal befragen die Leute… und wenn die dann nur wirre Geschichten erzählen und keine plausible Erklärung liefern können? Ja dann darf man schon 1 + 1 zusammenzählen.

    1. Die Frage ist doch, wo das hinführt. Eigentlich gilt in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung und die Beweislast liegt beim Ankläger und das ist aus guten Gründen so.

  2. Prinzipiell einverstanden. Wir sollten statt schwarz/weiss aber mehr über Wahrscheinlichkeiten sprechen, dass böse Leute nicht perfekt handeln und Fehler machen, und wie und bis wie weit wir unsere Fähigkeiten zur Detektion steigern möchten.
    Nur zu warten, bis uns Beweise in die Hände fallen oder sie sich freiwillig belasten finde ich ungenügend.
    Was wir meiner Meinung aber ganz sicher brauchen, ist eine unabhängige, ethisch handelnde, der offenen Gesellschaft verpflichteten, mit wirksamen Sanktionsmitteln ausgestatte Instanz, der unsere ausführenden Überwacher ständige und umfassende Rechenschaft schulden. Dem gilt meine Sorge.

    1. Das Problem dabei ist, dass sich die Geheimdienste immer ihrer eigenen Kontrolle zu entziehen wissen. Darum müssen wir, wenn wir denn wirklich einen Nachrichtendienst wollen, diesem so wenig Macht wie möglich geben und den Aktivitätsgrad und die Einsatzgebiete so stark einschränken wie möglich. Mit dem geplanten Nachrichtendienstgesetz wird aber genau das Gegenteil erreicht. Zu weitreichende Kompetenzen und menschenrechtlich fragwürdige Instrumente.