Es ist derzeit en vogue, sich über den sogenannten Plattform-Kapitalismus auszulassen. Uber, Airbnb, aber letztendlich auch Facebook, Twitter, Google oder Amazon werden als Totengräber unserer Gesellschaft gebrandmarkt. Disruption wird allmählich zum Unwort. Innovation wird ihm wohl bald folgen. Dabei wäre es aus gesellschaftspolitischer Sicht wünschbar, dass die Chancen für einen grundlegenden Wandel der sozialen Ordnung erkannt würden, anstatt sich auf Nebenschauplätzen für den Erhalt von bestehenden Herrschaftsstrukturen einzusetzen.
Es ist natürlich richtig, jede technologische Entwicklung kritisch und politisch zu begleiten. Dabei ist es aber angebracht, dass wir versuchen zu verstehen, wie diese Entwicklung die strukturellen Grundlagen verändert. Das Internet, oder besser die totale digitale Vernetzung von allen Dingen, die der Mensch herstellt und nutzt, inklusive seiner technischen Hilfsmittel zur Kommunikation, zeigt in ihrer prinzipiellen Konzeption vor allem in eine Richtung: Entmachtung der Zentren. Dezentralisierung und Ent-Hierachisierung. Diese Entwicklung ist zu begrüssen, sie hilft den Menschen sich zu befreien; sie hat das Potential in ferner Zukunft den Kapitalismus und den Nationalismus zu überwinden.
Es sieht zwar im Moment in vielerlei Hinsicht danach aus, dass eine gegenteilige Entwicklung im Gang ist. Sowohl die technisch/wirtschaftlichen als auch die politischen Zentren scheinen an Macht zu gewinnen und sich laufend zu vergrössern. Wir sollten allerdings davon ausgehen, dass dies eine vorübergehende Erscheinung ist, die vor allem damit zu tun hat, dass die neuen dezentralen, dynamischen und netzwerkartigen Strukturen erst am Entstehen sind.
Die bestehenden Machtsysteme versuchen natürlich einer solchen Veränderung entgegen zu treten. Dabei sind kapitalistische und politische Interessen in der Regel gleichgeschaltet. Auch wenn die Uber-Macher ihre staatskritische, rechts-libertäre Haltung in den Vordergrund stellen und auch wenn die politischen Mandatsträger und ihre Beamten in Europa sich für die Erhaltung des Status-Quo für die Taxifahrer einsetzen, wollen beide im Prinzip dasselbe: Herrschaftsverhältnisse entweder aufrecht erhalten oder neue schaffen.
Eine Gesellschaft hingegen, die auf hierarchiefreier, dezentraler Organisation aufbaut, bietet den Menschen neue Möglichkeiten sich ebendiesen Herrschaftsverhältnissen zu entledigen. Der Hauptgrund liegt darin, dass sich durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten Menschen mit Bedürfnissen und Menschen, die diese befriedigen wollen, ohne Vermittler finden und ihre Transaktion durchführen können. Auf dieser Basis können sowohl wirtschaftliche wie auch politische Strukturen so gestaltet werden, dass sie den Menschen als mündiges und autonomes Wesen respektieren.
Damit keine Missverständnisse aufkommen. Autonome, mündige Menschen sind nicht per se Egoisten. Ich rede hier weder einer Entsolidarisierung mit den Schwächeren, noch einem Sozialdarwinismus das Wort, sondern einer besseren und gerechteren Verteilung der Macht und damit einhergehend einer Befähigung der Menschen, sich zu entwickeln, sich als aktiven Teil ihrer politischen Gesellschaft einzubringen und sich an deliberativen Prozessen zu beteiligen. Dabei werden natürlich einige bestehende Strukturen und Konzepte über die Klippen springen müssen. Und auch wenn wir erst ganz am Anfang dieser Entwicklung stehen, sind wir laufend Zeugen davon, wie diese grundlegenden Veränderungen wirken.
Taxi-Fahrer wird es wahrscheinlich bald nicht mehr geben, damit sollten wir uns abfinden. Das hat aber nichts mit Uber oder anderen Plattformen zu tun, sondern damit, dass durch die Vernetzung die Kommunikation zwischen den Menschen neu organisiert werden kann.
Angebote, wie die von Uber und anderen ‘Plattform-Kapitalisten’ werden wohl in Bälde als echte dezentrale Alternativ-Lösungen verfügbar sein und sich dabei ähnlichen Konzepten bedienen wie Bitcoin. Dann gibt es keinen mehr, der dazwischen die Hand aufhält, sondern nur noch das Netzwerk als Plattform. Trotzdem werden die Taxis das wohl nicht überleben.
Denn was spricht dagegen, dass Menschen, die in ihren Autos von A nach B fahren noch jemanden mit nehmen, der auch nach B fahren will? Ob sie sich dann untereinander darüber einigen, ob der Eine dem Anderen dafür eine Entschädigung schuldig ist, geht ausser die beiden betroffenen Transaktionspartner niemanden etwas an.
Taxis gibt es nur aus dem Grund, weil es vor der digitalen Vernetzung der Menschen nicht so einfach möglich war, dass sich die, die gerade ein Fahrzeug fahren mit denen die gerne mitfahren würden, finden und absprechen können. Jetzt ist das möglich und darum brauchen wir keine Taxis mehr.
Ich verstehe gut, dass das für die Betroffenen Taxi-Fahrer unangenehm ist und ich bin auch der Meinung, dass es zu den Aufgaben einer Gesellschaft gehört, Menschen in Bedrängnis zu helfen. Nur ist den Taxi-Fahrern nicht geholfen, wenn wir Ihnen vorgaukeln, dass schon alles gut kommt, wenn nur ‘Uber’ ein wenig reguliert wird. Es wäre viel sinnvoller und auch im Sinne der Taxi-Fahrer, wenn wir Ihnen klar machen würden, dass es dereinst keine Taxi-Fahrer mehr brauchen wird und dass wir Ihnen helfen wollen, dass sie trotzdem zu ihrem Einkommen kommen. Das bedeutet, dass sie befähigt werden sollen, in der veränderten Umgebung ein Einkommen zu erwirtschaften und nicht sie zu Abhängigen einer Regulatoren-Bürokratie zu machen. Auch hier bietet das Internet neue Möglichkeiten für die Weiterbildung und persönliche Entwicklung des Einzelnen. Dass die Gemeinschaft die notwendigen Ressourcen für die individuelle Begleitung der direkt Betroffenen dieses Veränderungsprozesses solidarisch aufbringen muss, versteht sich von selbst.
Die Tendenz jeder Veränderung die durch die digitale Vernetzung ausgelöst wird, mit einer sofortigen Regulierung zur Erhaltung der bestehenden Strukturen zu begegnen, führt dazu, dass die aktuellen Macht- und Herrschaftsverhältnisse gefestigt werden. Eine Regulierung der Plattformen verhindert oder erschwert zumindest den späteren Eintritt der dezentralen Lösungen, die diese Plattform-Anbieter wieder zum Verschwinden bringen würden. Die Gesetze, die wir heute zum Schutz der betroffenen des Wandels erlassen, werden morgen von den beherrschenden Plattform-Anbietern dazu benutzt, sich die dezentrale Konkurrenz vom Leibe zu halten.
Man kann das natürlich alles als naiven Technik-Utopimus vom Tisch fegen. Denn es ist in der Tat so, dass Technik und damit auch die Digitalisierung sowohl für Wünschbares als auch für Unerwünschtes eingesetzt werden kann. Auch richtig ist, dass wir keine Voraussagen über die Zukunft machen können, denn der handelnde Mensch bestimmt, was geschehen wird. Doch gerade deshalb ist es wichtig, darüber zu diskutieren, welche positiven Aspekte der digitalen Revolution erkennbar sind und wie wir diesen zum Durchbruch verhelfen wollen. Wenn wir uns hauptsächliche auf die Vermeidung oder Verminderung der negativen Auswirkungen konzentrieren, werden wir keine grundlegenden Verbesserungen erreichen, sondern nur die bestehende soziale Ordnung auf einem anderen Niveau erhalten.
Den Wandel zu gestalten heisst zuallererst, ihn zu begrüssen, denn es bietet sich die seltene Gelegenheit für eine grundlegende Neugestaltung der sozialen Strukturen. Das bedeutet nicht, nicht zu regulieren, sondern es bedeutet so zu regulieren, dass einer positiven Zukunftsvision zum Durchbruch verholfen werden kann. Das Ziel heisst: “Mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit für mehr Menschen” und nicht “keine Veränderung für Taxi-Fahrer”.
Diesen Beitrag habe ich am 11. September 2014 erstmals auf medium.com publiziert. Er wird hier zu archivzwecken reposted.
Bildquelle: Pixabay
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