Eines der vielen Essays, die derzeit die Welt überziehen, und davon erzählen, dass die Utopie des freien und offenen Netzes naiv gewesen sei und dass diese nach den Enthüllungen von Edward Snowden nun endgültig begraben werden können, schliesst mit der Aussage, dass wir „der Aufmerksamkeit der Datensammler“ schutzlos ausgeliefert sind (Dr. Tilman Baumgärtel, NZZ print/epaper, 3. Juli 2013, S. 45, Webpaper Guest-Link).
Diese Aussage ist schlicht falsch und zeugt von einem staatsbürgerlichen Selbstverständnis, welches uns weiterhin Sklaven halten liesse, wäre eine solche Grundhaltung die letzten 300 Jahre von allen Bürgern geteilt worden.
Erstens ist es nicht falsch, sich eine bessere Welt vorzustellen und diese gestalten zu wollen, auch im Wissen darüber, dass es Ansichtssache sein kann, was denn eine bessere Welt sein soll.
Zweitens ist es immer noch so, auch wenn es zunehmend schwieriger wird, daran zu glauben, dass wir, die Menschen in demokratischen Ländern, die Möglichkeit haben, die Politik zu gestalten.
Es wäre ein grosser Fehler, die Ideale des offenen Netzes aufzugeben, nur weil sich die Überwachungsfanatiker in den letzten Jahren klammheimlich haben durchsetzen können. Und deswegen das Netz zu verteufeln und sich quasi davon zu verabschieden, oder sich in Alternativ-Netze zu verkrichen, käme einer vorzeitigen Kapitualtion gleich.
Denen, die im Netz eine noch nie dagewesene Möglichkeit zur Emanzipation der Menschen und zur Schaffung einer freieren und gerechteren Welt sehen, vorzuwerfen, sie seien naive Hippies, ist ziemlich einfach, aber leider oft sehr wirksam. Es braucht allerdings nicht viel rhetorisches Geschick, andere lächerlich zu machen, doch deutet dies meistens auf fehlende Argumente und moralische Schwäche hin.
Es mag zwar so sein, dass die Welt und die Menschen nicht einfach „nur“ gut sind, was den Netz- und anderen Hippies aller Zeiten als elementare Fehleinschätzung vorgeworfen wird. Aber das Gegenteil trifft auch nicht zu. Die Welt und die Menschen sind nicht „nur“ schlecht. Wir können eben beides sein. Wir können uns entscheiden. Wir können für unser Handeln Verantwortung übernehmen. Darum ist es absolut legitim, sich die Frage zu stellen, ob wir unsere Politik, sprich die Art und Weise wie die Gesellschaft organisiert sein soll, auf das Gute oder auf das Schlechte im Menschen ausrichten sollen.
Ich bin klar der Meinung, dass wir uns auf das Gute im Menschen, auf die Empathiefähigkeit und das Vermögen moralische Urteile fällen zu können, konzentrieren sollten. Das ist nicht naiv, sondern das einzig Richtige. Ohne diese Haltung gäbe es keinen sozialen Fortschritt in der Gesellschaft. Nur weil es immer wieder Menschen gegeben hat, die an das Gute in uns geglaubt haben und die sich eine bessere Gesellschaft haben vorstellen können, sind wir heute da, wo wir sind. Und bei aller berechtigten Kritik an unserer gesellschaftlicher Situation, in den letzten 300 Jahren wurde viel erreicht.
Es ist wie gesagt einfach, sich zurückzulehnen und zu behaupten, die Welt ist schlecht und wer etwas anderes sieht, ist selber schuld, wenn er daran leidet. Diese Haltung, wenn sie auch von einigen geteilt wird, bringt uns aber in eine moralische Abwärtsspirale. Weil die Menschen schlecht seien, müssen wir sie überwachen und bespitzeln und immer auf der Hut sein. In der Konsequenz heisst diese Haltung, dass wir uns auf einen permanenten Kampf eines jeden gegen jede einrichten müssen, oder den totalen Staat, den Hobbesschen Leviathan, herbeiwünschen sollen, um dies zu verhindern.
Es gibt aber im Leben immer mehrere Alternativen, auch wenn es heute zunehmend en vogue ist, zu behaupten, dass es keine gäbe. Wir können die politischen Strukturen einer Gesellschaft auch so gestalten, dass sie das Gute im Menschen fördern. Die Kommunikationsinfrastruktur kann so reguliert werden, dass sie der Gesellschaft und damit allen Menschen dient, oder so, dass sie nur einer bestimmten Gruppe, z.B. der Kapitalelite, oder der politischen Führungselite dient. Wir haben die Wahl, wir können uns entscheiden, wir können führen, wir können gestalten.
Natürlich ist mir auch klar, dass wir in der Schweiz oder in Deutschland nicht direkt die Politik der USA oder anderer Länder bestimmen können. Und auch ist mir klar, dass wir in einer globalisierten Welt internationalen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind. Doch Rahmenbedingungen gibt es immer. Wir müssen unser Leben und unsere Umgebung immer den Rahmenbedingungen anpassen, bzw. damit leben, dass gewisse Veränderungen lange dauern. Doch das heisst doch nicht, dass wir einfach alles, was falsch läuft, hinnehmen müssen. Wir haben Spielraum und der ist immer auch viel grösser, als wir jeweils annehmen.
In der Schweiz steht derzeit zum Beispiel vieles, was mit der Frage der Gestaltung der Internet-Infrastruktur zu tun hat, auf der politischen Agenda. So sind eine Revision des Gesetztes zur Überwachung des Fernmeldewesens (BÜPF) auf der Traktandenliste , welche den Überwachungsstaat massiv ausbauen will, gleichzeitig wird in einer Arbeitsgruppe zum Urheberrecht (AGUR12) über den Aufbau einer Zensurinfrastruktur diskutiert und der Schweizerische Nachrichtendienst will sich durch ein neues Nachrichtendienstgesetzt (NDG) ähnliche Rechte verschaffen, wie wir sie gerade in den USA kritisieren.
Erstaunlicherweise macht sich nur wenig Opposition zu diesen Vorhaben bemerkbar. Es scheint, als wären wir paralysiert ob der schieren Menge der Angriffe auf unsere Freiheit. Wo sind die liberalen Werte der FDP geblieben, wo sind die freiheitlichen und staatskritischen Ansprüche der SP gelandet? Einzig die Grünen setzen sich derzeit, neben den Piraten, ernsthaft mit dem Thema Netzpolitik auseinander. Wie kann es sein, dass nahezu die komplette politische und wirtschaftliche Elite in diesem Lande, bei solchen Fragen einfach mit Achselzucken reagiert und jeden Gestaltungswillen verloren zu haben scheint. Was ist mit Aktivisten aus der Zeit der Fichen-Affäre geschehen, die heute in den Direktionen der Amtsstuben und den politischen Führungsgremien sitzen? Wo sind all die Hippies nur geblieben?
Nein, wir sind nicht schutzlos ausgeliefert, wie das der Autor des oben erwähnten Essays suggeriert. Wir, die in demokratischen Staaten leben, können, auch wenn sie bereits auf dem Weg zur Postdemokratie sind, anders entscheiden. Wir müssen nur wollen.
Für die Schweiz hiesse dies: Nein zum Überwachungsstaat, und damit komplettes versenken der BÜPF-Revision und des Gesetzes zum Nachrichtendienst. Auflösung der AGUR12, die, wie sich gezeigt hat, nichts anderes vor hat, als eine Netzzensur-Infrastruktur in der Schweiz zu etablieren und deren Glaubwürdigkeit durch die einseitige Zusammensetzung nicht gegeben ist, sowie der Festschreibung der Netzneutralität in der Verfassung, damit wir nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, wie dies in Deutschland und in anderen Ländern der Fall ist.
Diese drei einfachen Punkten könnten jederzeit in der Schweiz umgesetzt werden. Wir hätten zwar dann noch nicht eine bessere Welt geschaffen, aber auf jeden Fall eine schlechtere verhindert.
Derzeit gefordert sind natürlich in erster Linie die politischen Akteure, unsere Vertreter in den Parlamenten und Behörden. Doch diese Fragen gehen uns alle an. Wir sind dazu verpflichtet uns damit auseinander zu setzen und gegenüber unseren gewählten Stellvertretern klar zu machen, was wir von Ihnen erwarten und wenn nötig, unsere direkt demokratischen Mittel zu nutzen.
Nein, wir sind nicht schutzlos ausgeliefert. Lasst uns Hippies sein und die Welt verbessern. Weg mit der BÜPF-Revision und dem NDG, weg mit der AGUR12, Netzneutralität in die Verfassung.
(Bild: © leszekglasner – Fotolia.com)
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