Ohne Netz steht die Welt still – Ostschweiz am Sonntag Online

ohne netz steht die welt still - ostschweiz am sonntag - 20160529

Wir sind immer online und wir können nicht mehr ohne. Das haben Tausende Angestellte vergangene Woche persönlich erfahren, als das Netz der Swisscom während Stunden nicht verfügbar war. Natürlich waren danach sofort allerlei Netzverächter zur Stelle, um darauf hinzuweisen, wie abhängig wir armen Kreaturen uns von diesem Internet gemacht hätten und dass es uns ganz gut tue, wieder mal offline sein zu müssen. Dabei ist es ein wunderbar ironischer Zufall, dass ausgerechnet die Swisscom, deren CEO sich für den Ausfall öffentlich entschuldigen musste, uns ein paar Tage zuvor – etwas heuchlerisch – dazu ermuntern wollte, auch mal eine Auszeit von diesem Internet zu nehmen.

Ach diese Offliner. Sie sollen natürlich so lange vom Internet fernbleiben dürfen, wie sie wollen. Aber warum haben sie dieses missionarische Bedürfnis, auch alle anderen zur digitalen Abstinenz zu bekehren? Ich gönne ihnen die Schadenfreude, doch meine Analyse des Falles führt nicht zum Schluss, dass wir unsere sogenannte «Netzabhängigkeit» hinterfragen sollten, sondern dass wir dafür sorgen müssen, dass solche Ausfälle möglichst kleinen Schaden anrichten.

Ich selber habe schon längst vorgesorgt und nutze seit Jahren zwei unabhängige Internetzugänge. Früher einen über TV-Kabel und einen ISDN-Backup. Heute ist der ISDN-Anschluss dem fetten Mobile-Abo gewichen. Wir leben nicht mehr als Pfahlbauer, sondern in einer hochtechnischen, vernetzten Welt, und wir sind von verschiedensten Infrastrukturen und Netzen abhängig. Legt ein Unfall die A1 oder die SBB-Strecke Bern–Zürich lahm, gehen ebenfalls Abertausende während Stunden nicht zur Arbeit. Niemandem kommt es dann in den Sinn, das System in Frage zu stellen. Im Gegenteil, die Losung heisst sofort: «ausbauen». Die Stromversorgung fällt so selten aus, dass wir es geradezu herzig finden, wenn die Ladengeschäfte in der Stadt Kerzen anzünden müssen, weil das Licht nicht mehr geht. Aber auch dann gehen wir, sobald der Strom wieder da ist, zurück in den Alltag und fordern nicht plötzlich, dass wir doch hin und wieder den Strom abschalten sollten, um uns auf unser Menschsein zu besinnen. Warum bloss soll das beim Internet sinnvoll sein?

Der Fall ist klar: Wir brauchen eine möglichst stabile Internetversorgung. Dies erreichen wir am besten durch ein dezentrales System mit vielen verschiedenen Marktteilnehmern. Es ist ungesund, wenn ein paar wenige Konzerne unsere Internetinfrastruktur beherrschen. Denn je grösser eine Organisation ist, desto grösser ist ihr Schadenspotenzial. Deshalb müssen wir unter anderem dafür sorgen, dass jedes Gebäude in diesem Land direkt mit einem Glasfaseranschluss ausgerüstet wird und dass der Zugang zu dieser Glasfaserinfrastruktur jedem Anbieter offen ist. Das Leben ist zu kurz, um offline zu sein.

Ursprünglich erschienen in der Ostschweiz am Sonntag vom 29. Mai 2016 (PDF der Seite)

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