Verwaiste Bücher – Frankreichs zentralistische Lösung ist kein Vorbild

Verwaiste Bücher sind die Bücher, deren Urheberrechtsschutz noch nicht abgelaufen ist, die aber nicht mehr verfügbar sind und für die es meistens auch nur sehr schwer möglich ist, herauszufinden wo die Verwertungsrechte liegen. Es handelt sich dabei um den grössten Teil aller jemals gedruckten Bücher des 20. Jahrhunderts, und es ist äusserst schade, dass diese Bücher in der Regel nicht online verfügbar gemacht werden können, obwohl niemand einen finanziellen Schaden davon tragen würde.

Google hat mit ihrer Google Books Initiative versucht diesen kulturellen Schatz zu heben, ist aber am Widerstand der Autoren und der Verwertungsindustrie gescheitert. Dass der Vertrag zwischen Google und den Autorenvereinigungen nicht zu stande gekommen ist, ist wohl nicht schlecht, denn mit diesem Vertrag wäre Google exklusiver Anbieter dieser Bücher geworden.

Exklusivität im Bezug auf den Zugang zu Kulturgütern die eigentlich im Überfluss vorhanden wären ist immer schlecht, egal ob sie von Google oder vom Staat beansprucht wird. Darum ist auch die aktulle Lösung, die der französische Staat vorsieht eine schlechte Lösung. Frankreich will mehr oder weniger das umsetzen, was Google als Diebstahl vorgeworfen wurde. Die Bücher sollen gescannt und dann via kostenpflichtige Plattform verfügbar gemacht werden. Der einzige Unterschied ist der, dass die Einnahmen von einer Verwertungsgesellschaft verteilt werden sollen.

Diese Lösung ist darum schlecht, weil sie nicht darauf ausgerichtet ist dafür zu sorgen, dass möglichst viele Bücher, mit denen schon seit Jahren niemand mehr Geld verdient notabene, einfach zugänglich gemacht werden, sondern darauf wie diese finanziell ausgeweidet werden können. Dabei wird mit grosser Wahrscheinlichkeit viel Geld aufgewendet werden, damit diese Bücher kopiergeschütz werden können. Dadurch werden sie weiterhin verschlossen bleiben statt verlinkbar ins Netz zu finden sein. Kommt dazu, dass ein grösser Teil der Einnahmen für den Betrieb der Plattform und den Verwaltungsaparat aufgewendet werden muss.

Ich habe mich noch nicht schlau machen können, wer sich in der Schweiz um die Frage der verwaisten Bücher kümmert, aber ich nehme an, dass Thema wird beim IGE und evtl. auch bereits im SBVV disktutiert werden. Auf jeden Fall hoffe ich, dass dort nicht Frankreich zum Vorbild genommen wird.

Aus meiner Sicht könnte eine sinnvolle Lösung für verwaiste Bücher in etwa so aussehen:

1) Die Schweizerische Nationalbibliothek betreibt einen einfachen Service in welchem jeder/jede nach Titeln recherchieren kann, und allenfalls ein Buch als möglicherweise verwaist melden kann. Möglicherweise verwaist wäre ein Buch, welches seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verfügbar ist. Bücher die im antiquarischen Buchhandel gekauft oder in Bibliotheken ausgeliehen werden können, gelten nicht als verfügbar.

2) Jede/jeder interessierte kann die Neumeldungen nach ein paar Filtern wie Autor, Verlag, Erscheinungszeitraum elektronisch abonnieren.

3) Allfällige Rechteinhaber haben, nachdem ein Buchtitel als möglicherweise verwaist in die Datenbank des Service eingetragen wurde, 3 Monate Zeit sich zu melden und beim entsprechenden Titel einzutragen, dass sie die Verwertungsrechte beanspruchen.

4) Allfällige Rechteinhaber, die diese Verwertungsrechte auf diese Weise beanspruchen, müssen das entsprechende Buch innerhalb von maximal 6 Monaten wieder zu einem angemessenen, mit anderen Büchern vergleichbare Preis, verfügbar machen.

5) Wenn niemand nach 3 Monaten die Rechte beansprucht bzw. nach weiteren 6 Monaten das Buch nicht wieder verfügbar gemacht hat, werden die Inhalte des Buches entweder nach 3 oder nach 9 Monaten ab Datum der Eintragung in den Service der Public Domain zugeschrieben und in der DB des Services entsprechend markiert. Danach stehen diese Bücher allen zur freien Verfügung und niemand kann sie mehr einschliessen.

Natürlich müsste ein solcher Service der Landesbibliothek als Service Public betrieben werden und es müsste möglich sein, via API ganze Bibliographien als möglicherweise verwaist zu registrieren. Ich denke, dass wir auf diese Weise innert kürzester Zeit die gedruckten kulturellen Schätze des 20. Jahrhunderts gehoben hätten und diese der Gesellschaft wieder zugeführt hätten. Der Aufwand für den Staat wäre minimal, schaden entstünde niemanden, es gäbe nur Gewinner.

(Text: CC BY-SA 3.0, Bild: © photogl – Fotolia.com)

Kommentare

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert