Das Fundament für eine aufgeklärte Bürgerlichkeit – Beitrag zur AME Festschrift

Die Aargauische Maturitätsschule für Erwachsene, kurz AME feiert dieses Jahr ihren 20sten Geburtstag. Ich hatte das Glück bereits im zweiten Zug, in der Klasse 2b von 1992 bis 1996, an dieser wichtigen Institution der Erwachsenenbildung lernen zu dürfen. Für die Festschrift, die anlässlich der Jubiläumsfeier gedruckt wurde, wurden die Ehemaligen eingelalden, einen Beitrag zu leisten. Ich finde es nach wie vor wichtig und richtig, dass neben den fachlichen Weiterbildungsmöglichkeiten auch Insitutionen wie die AME, die eine grundlegende Allgemeinbildung vermitteln, gefördert und unterstützt werden. Die komplette Festschrift ist auf der Website des Vereins der Ehemaligen und Studierenden der AME zum download verfügbar

Das Fundament für eine aufgeklärte Bürgerlichkeit (20.10.2011)

Kürzlich habe ich am „Denkfest” in Zürich eine Diskussion unter Wissenschaftsbloggern moderiert. Das „Denkfest” war ein Anlass mit mehr als 400 Teilnehmern, die sich 4 Tage lang dem kritischen Denken, der Wissenschaft und der intelligenten Unterhaltung widmeten. Es war ein spannendes, inspirierendes Wochenende.

Seit einiger Zeit bin ich Mitglied einer Lesegruppe in Zürich. Wir wählen ein Buch aus dem Kanon der Philosophieklassiker und diskutieren das Gelesene jeweils in 10 Sitzungen, zu welchen wir uns alle 2 Wochen treffen. Eine äusserst anregende Freizeitbeschäftigung, die mir immer wieder von neuem zeigt, wie grundverschieden die Welt doch betrachtet werden kann.

Diese beiden Beispiele aus meiner Lebensgestaltung sind nicht denkbar, ohne meine Ausbildung an der AME, genauso wenig wie die Möglichkeit, mich mit den Fragen unserer Zeit auseinander zu setzen und mich dazu äussern zu können.

Wer an einem beliebigen Tag eine sogenannte Qualitätszeitung aufschlägt, oder im Web die richtigen Blogs liest, wird mit den vielfältigsten Aspekten unserer eigenen Kultur- und Kulturgeschichte konfrontiert: Zellteilung, Französische Revolution, Deutscher Idealismus, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Grundlagen der Volkswirtschaft, usw. um nur einige wenige, zufällig ausgewählte Beispiele für Konzepte zu nennen, die man in den Grundzügen verstehen und einordnen können muss, um kritisch und mündig Anteil am Zeitgeschehen nehmen zu können.

Die Menschen, die in der Vergangenheit ihr Leben dafür riskiert und manchmal auch geopfert haben, uns die Freiheit zu sichern, den eigenen Verstand benützen zu dürfen, waren der Meinung, dass sich die Gesellschaft zum Besseren entwickelt, wenn die Ideen frei fliessen, wenn die Meinungen frei geäussert, wenn die Argumente frei ausgetauscht werden können. Diese Freiheit, denken und vor allem äussern zu dürfen, was man will, wird aber erst dann wirklich nützlich für die Gesellschaft, wenn sie auch gebraucht wird, und wenn sie auf einer soliden Grundlage steht. Deswegen war und ist eine breite Allgemeinbildung möglichst vieler Menschen zugleich Voraussetzung und Fundament für das gute Funktionieren einer offenen Gesellschaft. 

Man muss verstehen können, worum es geht, wenn über Gentechnologie-Patente oder den Atomausstieg diskutiert wird. Man muss einordnen können, wenn der Kauf von neuen Militärflugzeugen den Ausgaben für Kultur und Bildung gegenüber stehen. Kurz, man muss in der Lage sein, die Aussagen anderer zu interpretieren, sich eigene Gedanken dazu zu machen und diese Gedanken auch wieder zu äussern.

Ich war zwischen Juli 1992 und Januar 1996 Student an der AME und kann im Rückblick erkennen, dass die Entscheidung, die Matura auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen, wohl eine der wichtigsten Weichenstellungen in meinem Leben war.

Obwohl ich dann zwar an der Open University, einer Fernuniversität in Grossbritanien, studiert habe, einer Institution, bei welcher ich mich auch ohne Maturitätsabschluss hätte einschreiben können, möchte ich keine Sekunde dieser allgemeinen Grundbildung an der AME missen.

Das an der AME Gelernte erlaubte es mir, mich selbstbewusst und mündig in dieser Welt weiter zu entwickeln. Die AME hat mir ein wichtiges Stück geistige Unabhängigkeit verschafft und damit grössere Bewegungsfreiheit ermöglicht, und sie hat mir geholfen die Fähigkeiten zu erweitern, die ich brauche, um mich am Gesellschaftsgeschehen beteiligen zu können. Sie hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, mich vom passiven Konsumenten zum aktiven Bürger zu entwickeln. Dazu kommt, dass einige meiner wichtigsten Freundschaften, die mich bis heute in meinem Leben begleiten, aus dieser Zeit stammen.

In diesem Sinne, möchte ich hier auch ein persönliches Dankeschön an den Kanton Aargau, bzw. die Politiker und Politikerinnen, die dafür gesorgt haben und weiterhin dafür sorgen, dass die AME existiert, aussprechen. Aber auch, und nicht weniger wichtig, ein Dankeschön an die Lehrer und Lehrerinnen, die mir und meinesgleichen, über manches Zähneknirschen hinweg geholfen haben, indem sie mit viel Geduld und Verständnis für die Situation eines Erwachsenen in Zweitausbildung, geholfen haben, auch wirklich zu erfassen, was da in den grünen Heften geschrieben stand.

Seit 20 Jahren wird nun also an der AME den Studierenden das Rüstzeug zum kritisch denkenden Bürger im Sinne der Aufklärung mitgegeben. Hoffen wir, dass diese Institution dereinst auch das 100-Jahr-Jubiläum feiern kann, denn eine fundierte und umfassende Allgemeinbildung für möglichst viele Menschen einer Gesellschaft ist die Grundlage für deren Prosperität.

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